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  • Thema Kultur

Wie gelingt digitaler Wandel in der Kultur? Interview mit Joe Chialo

  • Rubrik Interview
  • Veröffentlichungsdatum 06.12.2023
Anna Hantelmann

Künstler:innen, die mit KI Sinfonien schreiben, Digitalprojekte, die in der Schublade verstauben, und Kultureinrichtungen, die Bedarf an digitaler Infrastruktur und verstetigtem Know-How haben. Der digitale Wandel erfasst auch den Kulturbereich, was viele Chancen, aber auch Herausforderungen mit sich bringt. Wie passen Utopie und Realität zusammen? Wir haben mit Joe Chialo, Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt in Berlin, gesprochen.

© Hans-Christian Plambeck

Berlins Kulturszene hat Lust auf Digitalität. Und doch: Zu oft verschwinden Formate, Prototypen und Hardware nach Projektende in der Mottenkiste. Der Vertrag der Projektmitarbeitenden läuft aus und Wissen wechselt mit ihnen die Stelle. Wie wird Kultur also nachhaltig digital? 

Joe Chialo: Neben Hard- und Software, Infrastrukturen und Netzwerken geht es dabei – Sie sagen es – vor allem um Wissen. Auch wenn Personal geht, muss das Know-How in den Einrichtungen bleiben. Darum ist es wichtig, für ein gutes Wissensmanagement zu sorgen. Dabei helfen die Kooperationsprojekte der Kulturverwaltung mit kulturBdigital, wie zum Beispiel das Methodencafé. Hier teilen Kulturschaffende, wie sie das Wissen und Workflows ihrer Organisationen zentral festhalten, etwa in Video-Tutorials oder einem digitalen Handbuch

Aber natürlich braucht Digitalität in der Kultur noch mehr: Open-Source-Software und offene Programmierstandards sorgen ebenfalls für langlebige digitale Lösungen, auch weil sie eine breite Beteiligung ermöglichen, Doppelarbeit vermeiden und Netzwerke verdichten. Kollaboration insbesondere an Open-Source-Lösungen bewährt sich in der Berliner Kulturlandschaft: Da gibt es Lösungen wie zum Beispiel eine Webseite zur Erkundung von Kunstwerken im öffentlichen Raum in Pankow. 

Außerdem müssen digitale Inhalte nachhaltig aufbewahrt werden. Das stellt zum Beispiel die Zentral- und Landesbibliothek sicher, die seit neuestem auch Webseiten und anderes digitales kulturelles Erbe bewahrt – oder Projekte wie „Art Doc Archive“. 

Der Diskurs zur Digitalität im Kulturbereich ist auch geprägt von einem Wechsel der Extreme: Von den Medien, in denen (nicht nur) Künstler:innen mit KI schon ganze Sinfonien komponieren oder Bilder malen und der Realität in vielen Kultureinrichtungen, die sich nicht selten erstmal mit den digitalen Basics beschäftigen müssen. Wie bringen wir Utopie und Realität zusammen? 

Joe Chialo: Keines der beiden Enden dieses Spektrums darf vernachlässigt werden. Darum fördert meine Verwaltung den Auf- und Ausbau von digitaler Infrastruktur in den institutionell geförderten Kultureinrichtungen und finanziert Stellen für Resilienz-Dispatcherinnen und -Dispatcher, die die digitale Transformation der Kultureinrichtungen begleiten. Auch Change Management ist entscheidend: Deshalb braucht es Menschen, die lernen, vermitteln und analysieren. Für dieses wichtige Personal hat Berlin in über 70 geförderten Einrichtungen Stellen geschaffen. Wir setzen uns dafür ein, dass diese auch in den nächsten Jahren weiterarbeiten können.  

Gleichzeitig finanzieren wir mit einem Förderprogramm für die digitale Entwicklung im Kulturbereich digitale Vorhaben mit hohem Beispielwert. Die machen das innovative Potential der digitalen Entwicklung im Kulturbereich sichtbar und fördern auch in der Freien Szene eigene Kompetenzen im Umgang mit digitalen Anwendungen und Vorhaben. Meine Verwaltung hat im November gerade wieder dazu aufgerufen, Anträge für die nächste Förderperiode in 2024 abzugeben.

Ob Verwaltung, Politik, Künstlerinnen oder KI-Experten – bei dieser Transformation müssen alle zusammenarbeiten, mitentwickeln, in Dialog treten. Ich glaube, dass in den disruptiven Entwicklungen der letzten Zeit große Potentiale stecken.

Kultursenator Joe Chialo besucht den von kulturBdigital betreuten Stand der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt auf der re:publica 23.

Das Projekt kulturBdigital unterstützt die Berliner Kulturszene mit Praxis, Vernetzung und Wissensressourcen dabei, die Chancen der Digitalisierung besser für sich zu nutzen – und sich so digital souverän aufzustellen. Wann hat sich das Projekt im positiven Sinne selbst abgeschafft und was muss bis dahin noch passieren? 

Joe Chialo: In einem idealen, digital souveränen Kulturbereich haben Alle eine für ihren Purpose passende Digitalstrategie entwickelt und handeln danach. Dabei orientieren sie sich an Digitalstrategien wie der des Landes Berlin und des Bundes. Sie nutzen digitale Technologien eigenständig und effektiv, um ihre Ziele zu erreichen, ohne auf kontinuierliche Unterstützung angewiesen zu sein. Sie beschaffen nötige Hard- und Software und sind in der Lage, Angebote und Dokumentationen aus der IT-Branche zu verstehen und zu beurteilen. Sie sind untereinander vernetzt und unterstützen sich gegenseitig, indem sie Ressourcen und Wissen untereinander austauschen, wie gemeinsame Serverspaces, Cloud-Infrastruktur oder kostenintensive Hardware, wie sie zum Beispiel für die Digitalisierung von Musemssammlungen benötigt wird. 

Ich sehe das aber eher als Prozess denn als Projekt mit einem klaren Ende. Eine Plattform für den Austausch über Digitalität in der Kultur – so wie sie kulturBdigital bereits bietet – wird es in dieser Form immer brauchen. Denn das Digitale lebt vom Austausch und andersherum.  

Wohl keine andere Stadt auf der Welt hat eine so gestandene, diverse und lebendige Kulturszene wie Berlin. Wo sehen Sie das besondere Potenzial dieser Szene auch für die digitale Entwicklung der Stadt im Allgemeinen? 

Joe Chialo: Die Berliner Kulturszene lebt von ihrer auf Vielfalt basierenden Kreativität. Sie ist laut, kritisch, sie ist abenteuerlustig und sie bringt die Stadtgesellschaft zusammen. Das sind alles Eigenschaften, die auch für die digitale Entwicklung entscheidende Impulse sein können.  

Außerdem geht es nicht zuletzt darum, neue Technologien kritisch zu hinterfragen. Denn während zum Beispiel in der Künstlichen Intelligenz große Potentiale stecken, birgt sie natürlich auch Risiken ­– auch für das künstlerische Urheberrecht.

kulturBdigital

Projekt zur Stärkung digitaler Kompetenzen des Berliner Kulturbereichs. Mit kulturBdigital vermitteln wir Praxiswissen zum Einsatz digitaler Technologien, zeigen Good Practice Beispiele auf und vernetzen Berlins Kulturakteur:innen spartenübergreifend.


Zielgruppe

Kulturakteur:innen in Berlin