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Industrie 4.0 bedeutet mehr als neue Maschinen!

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  • Rubrik Kommentar
  • Veröffentlichungsdatum 09.10.2015
Dr. Christian Hammel

Zurzeit ist überall von Industrie 4.0 die Rede.

Wenn einige aktuelle Visionen von Industrie 4.0 in Erfüllung gehen, dann kann deutlich mehr Einfluss auf das Arbeiten und Leben in der Stadt haben als wenn Fabriken einfach nur neue Maschinen anschaffen. Vielleicht mehr als wir heute denken! Wir schlüsseln einige Aspekte auf und regen zum Nachdenken über den Einfluss auf die Stadtentwicklung an.

Der Rohstoff: Technischer Fortschritt von Fertigungsmaschinen und Digitalisierung von Produktion

Die technische Entwicklung macht neue Arten von Maschinen verfügbar. Mit generativen Fertigungsverfahren („3D Druck“) für immer mehr Materialien zu erträglichen Kosten, mit Zerspanungsmaschinen mit automatischem Werkzeugwechsel und vielen Bearbeitungsachsen (z.B. 5-Achsenfräse), die Dutzende Bearbeitungsschritte individuell für jedes Werkstück beherrschen, mit Laserbearbeitung zum Trennen (Lasercutter) oder Verbinden (Laserschweißen) und Leichtroboter, die Werkstücke einlegen können, ist fast alles da, was eine Fabrik braucht. Die Digitalisierung der Produktentwicklung und der Planung von Herstellungsprozessen ermöglicht es, Maschinen in der kurzen Zeit zwischen der Bearbeitung zweier Werkstücke umprogrammieren. Umrüstzeiten entfallen oder reduzieren sich dramatisch.

Die Vision: Stückzahl Eins mit industrieller Qualität und industriellen Methoden

Der technische Fortschritt ist der Rohstoff für die Vision von der Stückzahl Eins mit industrieller Qualität und industriellen Methoden: Wenn die Entwicklung und die Fertigungsplanung digital sind und es auch keine besondere Mühe ist, das aus dem digitalen Produkt errechnete Steuerprogramm für eine Maschinen zwischen zwei Werkstücken in die Maschine zu laden, dann ist der gedankliche Schritt nicht mehr weit, dass eine Fabrik, nicht mehr unbedingt große Mengen uniformer Produkte fertigen muss, sondern auch flexibel und individuell kleinste Stückzahlen bis hin zum Einzelstück fertigen kann. Natürlich nicht gleich heute und nicht jedes Produkt. Simple Massenware wird man wohl noch lange günstig mit dümmerer aber billigerer Maschinerie herstellen. Aber Innovation kommt nicht immer da, wo man sie erwartet: 3D-gedruckte individuelle Fruchtgummis nach eigenem Entwurf kann man in Berlin heute schon kaufen.

Die Konsequenzen: Einflüsse auf Stadtraum, Arbeiten und Wirtschaften

Dass Industrie 4.0 die Maschinerie, die industriellen Prozesse und auch die Informations- und Kommunikationstechnik und die Digitalwirtschaft verändern wird, ist einigermaßen selbstverständlich, Industrie 4.0 ist schließlich ein Resultat von Modernisierungsschüben in diesen drei Bereichen. Wenn die Visionen so kommen wie sie formuliert werden, dann kann dies aber erheblichen Einfluss auf weitere Bereiche des Lebens, Wirtschaftens und Arbeitens haben. Einige sind in dem nachstehenden Bild zusammengestellt.

In diesem Beitrag sehen wir uns die möglichen Einflüsse auf Stadträume genauer an. Weitere Beiträge zu Einflüssen auf die Arbeitswelt, die nötige Bildung und die Ökonomie folgen.

Stadträume: Mischen sich Leben, Arbeiten und räumliche Funktionen in der Stadt neu?

Lokale Mini-Fabriken?

Wenn eine überschaubare Zahl von Maschinen flexibel kleine und individuelle Stückzahlen fertigen kann, dann kann im Prinzip auch die  ganze „Fabrik“ kleiner werden. Sind also Makerspaces und FabLabs die Vorboten der lokalen Mini-Fabrik? Die Vorteile wären klar: solche Mini-Fabriken können näher an den Produktentwicklern und an den Kunden für die Produkte sein und bei kleinen Mengen einzelner Produkte ergibt sich ein erheblicher Zeitvorteil, wenn man sie nach ihrer Herstellung nicht um den ganzen Planeten transportieren muss. Ob sich das rechnet, wissen wir heute noch nicht. Technisch machbar scheint das zumindest für viele Teile der verarbeitenden Industrien, die keine allzu großen Produkte herstellen (z.B. Turbinen), aufwändige Zertifizierungsverfahren benötigen (Flugzeugersatzteile, Bremsbeläge,…) oder hochkomplexe Endmontagen schwerer Teile erfordern, Autos u.ä.). Auch dezentralen Mini-Stahlwerke waren schon beim „großen Sprung nach vorn“ kein Erfolg. Sehr realistisch scheint die lokale Einzelfertigung dagegen bei Ersatzteilen für Reparaturen aller Art (z.B. Kunststoffteile mit abgebrochenen Schnappverschlüssen, einzelne Zahnräder,..), bei kleineren Einrichtungsgegenständen wie Leuchten, Schaltern o.ä., individuell designten Artikeln oder bei elektronischen Gadgets aller Art.

Neu gemischte Stadt-Funktionen?

Wenn die lokale Mini-Fabrik mindestens in einigen Teilen Realität werden sollte, wird man einige Grundüberzeugungen der Stadtplanung des 20. Jahrhunderts überdenken müssen, nämlich die Trennung von Räumen für Produzieren, für Wohnen und für Freizeit, Kultur und Shopping, die man wegen des Platzbedarfs und der Emissionen der Produktion eingeführt hat, die man nicht vor der Wohnungstür haben wollte. Heute stört man sich eher an lästigen Wegen durch vollgestopfte Städte und würde gerne näher an der Arbeit wohnen. Klingt nach klassischem Mischgebiet? Genau! Und gut, dass Berlin davon noch etliche aus dem 19. Jahrhundert hat. Vielleicht müssen wir aber auch lernen, Mischnutzung neu zu denken und Mischgebiete neu zu bauen. Das werden wir in einem Workshop "Urbane Produktion: Berliner Mischung 2.0"am 3. November mit unseren Stakeholdern näher beleuchten.