Bahnhof im Takt – IoT aus der Sicht einer Anwenderin

Manchmal klopfen sogar Mitarbeiter ausländischer Bahnbetreiber an die Bürotür von Olga Willner. Die 33-Jährige verantwortet als Projektleiterin bei der Deutschen Bahn (DB) in der Abteilung IT- und Technologiemanagement IoT-Technologien für Bahnhöfe. Um „technologisch ständig vorne zu liegen“, beschäftigt sie sich gemeinsam mit ihren fünf Kolleginnen und Kollegen „mit immer neuen IT-Technologien“. Für die dadurch entwickelten Ideen interessierten sich inzwischen auch Bahnbetreiber aus dem Ausland, erzählt Willner. Seit knapp zwei Jahren ist „alles, was mit IoT in Bahnhöfen zu tun hat“ ihr Thema.

Bei der DB kam sie nicht zum ersten Mal mit dem Internet of Things (IoT) in Kontakt. Schon während ihrer vorherigen wissenschaftlichen Karriere gehörte diese Technologie zu ihrem Forschungsgebiet. Die begann an der TU Berlin mit einer akademischen Ausbildung zur Wirtschaftsingenieurin und führte sie anschließend zur Promotion in die Schweiz. Nachdem sie an der ETH Zürich ihre Dissertation zu „Strategien zur wettbewerbsfähigen Organisation des Engineerings kundenspezifischer Produkte“ abgegeben hatte, ging sie in die USA zum MIT in Boston. Schon dort kam sie mit innovativen Technologieunternehmen aus der IoT-Branche in Kontakt: „Ich stand ständig im Austausch mit vielen Unternehmen“.

Wir hatten zunächst einige Kritiker im Unternehmen, aber als sie den Prototypen gesehen haben, waren sie doch recht begeistert. Es hat sich gezeigt, dass IoT grundsätzlich ein interdisziplinäres Thema ist, bei dem abteilungsübergreifend viele Mitarbeiter zusammenwirken müssen.

Dr. Olga Willner :
DB Station&Services IoT

Interview: Wie Dr. Olga Willner von DB Station&Services IoT für sich nutzbar macht

Womit beschäftigen Sie sich in der Abteilung IT- und Technologiemanagement?

Bei meinem derzeitigen Projekt geht es um Bahnhofsuhren. Wir haben über 50 Uhren als Pilotversuch mit Sensoren ausgestattet. Dadurch können wir feststellen, ob die Zeiger laufen, die Beleuchtung funktioniert oder Wasser eingedrungen ist. Von diesen großen Uhren sind auf den deutschen Bahnsteigen circa 12.000 in Betrieb.

Wie sind Sie bei der Entwicklung Ihrer Lösung vorgegangen?

Für uns war die Frage, wie wir die Uhren besser überwachen können. Am Anfang war offen, welche Funktionen alle überwacht werden sollten und was überhaupt möglich ist. Wir haben verschiedene Ansätze durchgespielt, sind mit einer Uhr zu einem DB Hackathon gegangen. Die sind gut besucht, um die 200 Teilnehmer kommen dort hin. Einen LoRa-Hackathon haben wir ebenfalls besucht und Startups kennengelernt. Besonders interessant für uns ist, wie wir die Daten weiterverarbeiten können und wie wir später zu Predictive Analytics kommen können, sodass wir Störungen schon bei den ersten Anzeichen erkennen, bevor es zu einem Ausfall kommt.

Wir haben auf den Bahnhöfen unterschiedliche Uhrentypen von verschiedenen Herstellern. Dazu haben wir drei Varianten von IoT-Nachrüstlösungen getestet: eine beim Hackathon selbst gebastelte, eine von der Firma Relayr und eine Eigenentwicklung von der DB Kommunikationstechnik. Wir wollten verschiedene Sensoren ausprobieren, um zu sehen, was lässt sich wie am besten messen. Zum Beispiel wurden Magnete auf die Zeiger geklebt, um zu überwachen, dass sie die Zeit korrekt anzeigen. Wir haben auch verschiedene IoT-Plattformen evaluiert.

Wie haben Sie sich dazu informiert und einen Überblick über den Markt beziehungsweise verschiedene Anbieter bekommen?

Wir besuchten in Berlin viele Startup-Events. Da knüpft man schnell Kontakte und kommt auf Ideen. Mit der Zeit entwickelt das seine Dynamik und man wird deutlich agiler.

Beschreiben Sie bitte Ihre technische Realisation.

Wir haben uns unterschiedliche Bahnhöfe gesucht, dort Prototypen installiert und mittels LoRaWan vernetzt. In Berlin wurden die Bahnhöfe Jannowitzbrücke und Bellevue ausgewählt und mit jeweils einer modifizierten Uhr ausgestattet. Das Gateway für die Vernetzung ist auf dem Dach des Berliner Hauptbahnhof installiert, 60 Meter hoch. Es deckt den Kernbereich Berlins ab, die Reichweite in der Stadt beträgt etwa 10 km. An einigen Stellen im Umland sind wir sogar auf über 20 km gekommen.

Warum haben Sie sich für eine IoT-Lösung entschieden?

Nur aufgrund der heute verfügbaren IoT-Technologien ist die Fernüberwachung der Uhren für uns überhaupt wirtschaftlich attraktiv. Die Kosten für Sensoren und Datenübertragung sind durch IoT so stark gesunken, dass damit plötzlich Anwendungen möglich werden, die wir vor ein paar Jahren noch für unrealistisch hielten. In den kommenden Jahren werden wir immer mehr IoT-Projekte angehen. Die langfristige Vision ist der digitale Bahnhof, bei dem Sensorik und Daten eine wichtige Rolle spielen. Es entstehen digitale Zwillinge, Situationsabbilder unserer Bahnhöfe in Echtzeit, die uns bei der Lagebeurteilung und beim Anlagenmanagement helfen.

Weshalb haben Sie als Vernetzungstechnik LoraWAN gewählt?

Attraktiv an LoRa ist, dass man nicht an einen Anbieter gebunden ist und bei einer großen Anzahl von IoT-Geräten tendenziell geringere laufende Kosten entstehen als etwa beim Mobilfunk. Lora-Gateways beginnen bei rund 300 Euro. Daran können etliche tausend Geräte angebunden werden. Mobilfunk könnte auf Bahnhöfen mit schwierigen Empfangsbedingungen zum Problem werden. Auch interessant an Lora sind die hohen Reichweiten; außerdem ist LoRa bidirektional. LoRa hat im Gegensatz zu Mobilfunklösungen einen sehr geringen Stromverbrauch. Das ist zwar bei den netzbetriebenen Uhren nicht relevant, jedoch bei anderen Anlagen, die keine Stromversorgung besitzen, zum Beispiel Mülleimern. Die DB hat ebenfalls ein LoRa-Projekt, um den Füllstand von Mülleimern zu überwachen.

Zu Ihren anderen Projekten kommen wir später noch. Welche Vorteile hat die Bahn durch die IoT-Lösung?

Bisher haben wir für den Großteil unserer Uhren keine Möglichkeit sie technisch zu überwachen. Zur Feststellung defekter Uhren sind wir auf Rückmeldungen angewiesen, von Mitarbeitern, aber auch von Kunden und Lokführern.

Ein typisches Problem sind hängende Zeiger. Durch die Sensorik erfahren wir so etwas sofort und können dadurch die Entstörung schneller veranlassen. Weil wir gleich wissen, was defekt ist, hat der Techniker dann die richtigen Ersatzteile und Werkzeuge dabei. Die Instandhaltungsaufträge können automatisch über SAP ausgelöst werden. Die aus der Sensorik gewonnen Daten ermöglichen Rückschlüsse auf Ausfallursachen, wodurch wir Hinweise zur Optimierung der Uhrentechnik bekommen. Darüber hinaus kann man typische Fehler erkennen und die Konstruktion zukünftig verbessern. Auch das Ersatzteilmanagement lässt sich mithilfe der Sensordaten optimieren.

Neben Kosteneinsparungen geht es uns natürlich darum, dass unsere Uhren immer und überall die exakte Uhrzeit anzeigen. Wir sind eine Eisenbahn!

Existieren andere Lösungen?

In der Uhrentechnik weit verbreitet sind Zeitdienstsysteme, bei denen jede einzelne Uhr verkabelt ist und von einer Hauptuhr gesteuert wird. Diese Technik findet man z.B. in großen Bahnhöfen, Flughäfen, Schulen und Fabrikgebäuden. Daneben gibt es die Zeitsignalübertragung über Langwellenfunk (DCF77), diese Technik nutzen unsere Uhren an kleineren Bahnhöfen. In der IT synchronisiert man Uhren über Datennetze (NTP). Nachteil der kabelgebundenen Verfahren ist die teure Verkabelung. Der DCF77-Funk ist störanfällig und funktioniert nur in eine Richtung, damit ist die Abfrage der Uhr nicht realisierbar. Wir versprechen uns von einer LoRa-Lösung, dass sie alle diese Nachteile beseitigt.

Welche Sicherheitsvorkehrungen haben Sie ergriffen, wie sichern Sie die Anlage ab?

Security by Design ist entscheidend, d.h. Sicherheitsaspekte müssen schon während der Entwicklung bedacht und in die Software, ggf. sogar in die Hardware, eingebaut werden. Daraus folgt: Nicht unbedingt die billigste Lösung mit schnell zusammen gehackter Software einkaufen und Sicherheitstests nicht vernachlässigen. Wir lassen z. B. häufig Pen-Tests durchführen. Es ist wichtig, dass die Angriffsvektoren bekannt sind. Der LoRaWAN Standard bringt Verschlüsselung auf mehreren Ebenen mit und ist damit in Sachen IT-Sicherheit moderner aufgestellt als viele ältere Netzwerkprotokolle.

IoT scheint für ein Infrastrukturunternehmen, wie die DB, eine ideale Technik zu sein. Welche anderen Projekte betreibt Ihre Abteilung beziehungsweise die Bahn dazu?

Im Grunde ist IoT für uns nichts Neues, es ist nur ein neuer Begriff. Früher haben wir von „fernwirken und fernsteuern“ gesprochen, das war bei der Bahn eine Aufgabe der Nachrichten- und Fernmeldemeistereien. Dann kamen die IT-Abteilungen und „M2M“-Projekte. Mit „IoT“ folgt jetzt ein stärkerer Fokus auf Sensorik und Datenauswertung („Machine Learning“). In unserem letzten großen Projekt haben wir die Nachrüstung von rund 3000 Aufzügen und Rolltreppen an Bahnhöfen mit einer Fernüberwachung realisiert.  Wir erhalten nun Meldungen, wenn etwas nicht funktioniert und Techniker werden automatisiert beauftragt. Wir haben zusätzlich eine App entwickelt, die Bahnhof-Live-App. Sie zeigt Fahrgästen, welche Aufzüge funktionieren und wo Defekte vorliegen. Seit wir das haben, ist die Verfügbarkeit dieser Anlagen um etwa 10% gestiegen. Wir wollen erreichen dass die Kunden „normalerweise funktioniert es, Störungen sind selten“ wahrnehmen.

Zur Beleuchtungssteuerung mit Lora ist ein weiteres Projekt geplant. Wir schauen uns außerdem den Einsatz von LoRaWAN bei Stromzählern an. Auch läuft bei der DB ein Projekt zur frühzeitigen Erkennung von Weichenstörungen mithilfe von Sensordaten.

Wir prüfen gerade in einer Studie, ob man über LoRaWAN auch das Zeitsignal der Uhren übertragen kann. Für die Bahnhofsuhren gilt eine Genauigkeitsvorgabe von +/- einer halben Sekunde. Ob sich das über ein LoRaWAN erreichen lässt, testen wir gerade.

Grundsätzlich möchten wir IoT deutlich flächendeckender bei vielen Anlagen einsetzen. Da fängt man nicht mit kritischen Systemen an. Deshalb eignen sich Uhren hervorragend. Inzwischen interessieren sich schon mehrere ausländische Bahnen für unsere Lösung.

Wie viel Zeitaufwand und welche Kosten waren für die IoT-Uhren notwendig?

Die reinen Materialkosten für das IoT-Modul bei den fernüberwachten Aufzügen und Rolltreppen betragen etwa 150 Euro pro Stück. Ungefähr soviel kalkulieren wir auch für die Uhren. Hinzu kommen die Einbaukosten, wobei wir versuchen diese Arbeiten mit ohnehin stattfindenden Arbeiten zusammenzulegen. Die Entwicklungskosten lassen sich noch nicht final abschätzen.

Die Phase zur Entwicklung des Uhren-Prototyps lief ein halbes Jahr. Beim Rollout werden wir in Phasen vorgehen. Schätzungsweise dürfte es zwei bis drei Jahre dauern, bis alle Uhren entsprechend ausgerüstet sind.

Welche Erfahrungen waren bei der praktischen Umsetzung besonders wertvoll? Was haben Sie und Ihre Kollegen aus dem Projekt gelernt?

Wir hatten zunächst einige Kritiker im Unternehmen, aber als sie den Prototypen gesehen haben, waren sie doch recht begeistert. Es hat sich gezeigt, dass IoT grundsätzlich ein interdisziplinäres Thema ist, bei dem abteilungsübergreifend viele Mitarbeiter zusammenwirken müssen.

Die praktischen Erfahrungen sind wichtig. Man muss sich bewusst sein, dass es zu Überraschungen und auch zu Rückschlägen kommen kann, wenn man Technologie als early adopter einsetzen will. Es empfiehlt sich schnell mit dem Ausprobieren zu beginnen. Oft reicht ein „Proof of Concept“ und dann kann es losgehen. Dabei scheitert man auch mal, aber dann sind Lösungsalternativen gefragt.

Erst beim Experimentieren mit LoRaWAN stellt sich heraus, welche Spezifikationen zu Fallstricken werden. Etwa die maximale Anzahl der anzuschließenden Geräte oder der sogenannte Duty Cycle, was bedeutet, dass ein Gerät nur 36 Sekunden pro Stunde senden kann. Damit kommt man eventuell nicht aus. Auch Netzwerkauslastung und -architektur sind zu bedenken. Die Uhrengehäuse stellten uns auch vor Herausforderungen, denn sie bilden eine Abschirmung.

Es existieren verschiedene LoRa-Boards mit unterschiedlichen Charakteristika. Als wir die testeten, stellte sich heraus, dass sie zwar alle den gleichen LoRa-Chip haben, aber dennoch erzielten wir mit einem Board lediglich eine Reichweite von einem Kilometer, dagegen mit den anderen Dutzende Kilometer.

Welche Auswirkungen erwarten Sie von diesem Projekt?

Zunächst denkt man, es ist damit getan, draußen in der Fläche die Sensorik zu platzieren. Aber danach sammeln sich schnell große Mengen an Daten an. Daher ist es wichtig, frühzeitig ein Konzept zu entwickeln, was mit den Daten passieren soll. Oftmals müssen infolgedessen ganze Geschäftsprozesse angepasst werden.

Aufgrund unserer fernüberwachten Uhren, die nahezu in Echtzeit ihre Fehler melden, brauchen wir beispielsweise andere Dispositionsverfahren für Service-Techniker. Weiterhin haben wir einen eigenen Hadoop-Cluster aufgebaut, um Big Data Analysen durchzuführen. Um Daten zu visualisieren, begannen wir Tableau einzusetzen.

Ein großes Thema ist die Wahl der geeigneten IoT-Plattform. Dabei stellt sich auch die Frage, wie Firmware-Updates auf den Devices durchgeführt werden können. Für die IoT-Plattform sehen wir einen Micro-Services-Ansatz als vielsprechend an. Da hat man keinen Software-Monolithen, sondern eine modular aufgebaute Plattform, die mit verschiedensten Protokollen umgehen kann und Schnittstellen zu betrieblichen Anwendungen bietet. Für uns besonders interessant sind Open-Source-IoT-Plattformen, wie Eclipse IoT oder Kaa, da der Zugriff auf den Quellcode uns kontextspezifische Anpassungen der Plattform ermöglicht.

Was würden Sie heute bzw. beim nächsten Mal anders machen?

Nichts.

Was würden Sie anderen Unternehmen raten, sich mit IoT-Technik beschäftigen wollen?

Der Erfahrungsaustausch mit Fachleuten ist wichtig. Man kann dazu auf Veranstaltungen zu solchen Themen gehen und mit großen Unternehmen sowie Startups reden. Ich schaue zum Beispiel regelmäßig auf dem Veranstaltungsportal Eventbrite nach, was dort zum Thema IoT angeboten wird. Eine interessante Veranstaltung ist das immer im Juli stattfindende Tech Open Air. In deren Rahmen veranstalten verschiedene Unternehmen Satellite-Events, bei denen sie ihre eigenen Lösungen vorstellen.

Zu LoraWan bietet die Technologiestiftung regelmäßig ein Treffen an. Vor Kurzem hat dort beispielsweise der LoRa-Anbieter The Things Network (TTN) seine Plattform vorgestellt, die diverse Schnittstellen für Programmierer (API) bereitstellt.

Unser LoRa-Gateway stellen wir über TTN der Community zur Verfügung. Dritte können darüber Daten von entfernten Messpunkten an die TNN-Plattform weiterleiten und müssen kein eigenes Netz betreiben. In Holland und Südkorea sind Lora-Netze schon relativ flächendeckend verfügbar. Wir möchten dazu beitragen, so etwas auch hier zu etablieren. Die Bahn stellt außerdem viele Daten als Open Data zur Verfügung, damit Programmierer Anwendungen entwickeln können.

Generell muss man sich an das Internet der Dinge herantasten. Es hilft nicht, Ängste vor Fehlern zu haben und deshalb gar nicht erst zu starten. Entscheidend ist, dass es konkrete Anwendungsfälle gibt, die sich rechnen.