Ein Internet für den Keller – IoT aus der Sicht eines Elektronikherstellers

Günther Bräutigam ist 65, doch ans Aufhören denkt er nicht: „Jetzt kommt eine spannende Zeit – die Zeit der umfassenden Digitalisierung“. Die möchte der Diplom-Ingenieur mitgestalten, so wie er es schon in den letzten Jahrzehnten getan hat. Gleich nach seinem Studium ging es los: 1981 gründete er zusammen mit ehemaligen Kommilitonen das Kollektiv KT-Elektronik. „Das war der Energie-Elektronik verschrieben, wir haben Solarregler gebaut“, damit konnten thermische Solarzellen zur Warmwassererzeugung gesteuert werden, erzählt er. Zuvor hatte der Franke erst Nachrichten- und danach Elektrotechnik studiert. Er erinnert sich: „Unsere Solarregler funktionierten von Anfang an digital, sie wurden von einem Mikroprozessor gesteuert“. Doch die jungen Ingenieure waren ihrer Zeit voraus, das Unternehmen rechnete sich nicht. „Ein Markt für solche Regler existierte noch nicht, es gab damals bundesweit erst wenige Projekte mit entsprechendem Bedarf“. Letztendlich trennte man sich und ging eigene Wege. Bräutigam führte mit einem Partner den Betrieb weiter und richtete ihn neu aus. Fernheizungsregler standen jetzt im Zentrum der Produktion. Der Frankfurter Ventilhersteller SAMSON wurde auf die innovativen Produkte des jungen Unternehmens aufmerksam und schließlich zum Mehrheitseigner. Heute zählt KT-Elektronik über 30 Mitarbeiter und hat insgesamt mehr als eine halbe Million Regler gebaut. Doch Bräutigam denkt weiter, arbeitet an neuen Ideen. „Jetzt kommt eine komplett neue Zeit, in der alles vernetzt sein wird“. Dadurch entstehen neue Fragen, denn „so etwas muss in einer Demokratie so gehandhabt werden, dass alle zufrieden sind“. Für Bräutigam erhält das Thema Datenethik einen stetig wachsenden Stellenwert. „Wenn man den digitalen Wandel gestaltet, muss man an die Menschen denken und sie respektieren“, lautet sein Anspruch. An dieser Stelle wird der Geist des Kollektivs wieder sichtbar: Der Anspruch, die gesellschaftliche Dimension der Technik nicht zu vernachlässigen.

Wenn man den digitalen Wandel gestaltet, muss man an die Menschen denken und sie respektieren.

Günther Bräutigam :
KT-Elektronik

Interview: Wie Günther Bräutigam von KT-Elektronik Ventile im Keller vernetzt

Herr Bräutigam, Sie sind Mitgründer des Unternehmens KT-Elektronik GmbH, was ist Ihre Aufgabe in der Firma und womit beschäftigen Sie sich?

Ich bin Geschäftsführer und beschäftige mich mit der digitalen Steuerung von Fernheizungen. Unsere Regler haben wir komplett selbst entwickelt und auch die dazu notwendige Software ist eine Eigenentwicklung. Dazu zählen neuerdings auch Apps.

Fernheizungen und deren Steuerung sind ein eher klassisch-konventionelles Thema. Was zeichnet diese Technologie aus und wie sieht deren Zukunft aus?

Fernwärme wird aus dem Kühlwasser der Kraftwerke gewonnen und ist ein Abfallprodukt der Stromerzeugung; das gibt es in der Tat schon länger. Fernwärme wurde in der Zeit der Neubauten der 60er Jahre populär. Unsere Regler werden vorrangig eingesetzt, um den Wärmebedarf von Mietshäusern zu regeln. Zum Beispiel ist im Sommer weniger Wärmezufuhr notwendig, als im Winter; dann wird die Temperatur heruntergeregelt. Die Wärme muss außerdem im Haus mit Pumpen verteilt werden. Auch die Verbrauchserfassung gehört dazu. Gleichzeitig wird darüber das Fernwärmenetz vom Gebäude entkoppelt. Das alles geschieht gewöhnlich in Übergangsstationen, die in Heizungskellern stehen. In Berlin existieren rund 20.000 solcher Übergangsstationen, die alle Regler brauchen, um die verfügbare Wärme effizient zu nutzen. Mit der Energiewende steigt der Bedarf zusätzlich, beispielsweise bei der Speicherung von erneuerbaren Energien. Fernwärme ist also durchaus eine Zukunftstechnologie.

Der Trend geht dahin, dass die Komponenten immer mehr vernetzt sein müssen. Diese erfolgte zunächst kabelgebunden, beispielsweise per Glasfaser oder Ethernet, jedoch in jüngster Zeit immer häufiger drahtlos.

Mit welchen besonderen Problemen haben Sie in Kellerräumen zu kämpfen und wie sieht Ihre technische Lösung aus?

Zu aller erst wären die Empfangsschwierigkeiten zu nennen: Die Funkwellen müssen durch viele dicke Wände hindurch. Hinzu kommen eventuell erhöhte Temperaturen sowie unzugängliche Ecken, in denen die Geräte verbaut werden. Es war also von besonderer Bedeutung, eine geeignete Funktechnologie zu finden. Das auf IoT-Anforderungen spezialisierte LoRaWAN kam nicht in Frage. LoRaWAN kann zwar gut senden, aber weniger gut empfangen. Unsere Anforderungen erfordern aber beides: Wir wollen unsere Geräte im Keller steuern können und außerdem in der Lage sein, OTA-Updates (Over the Air – per Funkübertragung) vorzunehmen, beispielsweise bei Sicherheitsproblemen. Deshalb entwickelten wir das SAM-LAN, ein Funknetz, das für Neu- und Altbauten geeignet ist. Wir nutzen ein kostenloses Frequenzband, 868/869 MHz. Für unsere Anwendung sind eher geringe Frequenzen geeignet, weil höhere Frequenzen nicht durch die Mauern kommen. Deshalb ist der klassische Mobilfunk ungeeignet, denn der arbeitet überwiegend im Gigahertzbereich. Dann wird eine Außenantenne nötig, die muss jedoch vom Hauseigentümer genehmigt werden. Das gestaltet sich oft nicht einfach.

Mit unserer Funktechnologie brauchen wir das alles nicht. Sie setzt zwar auf der LoRa-Technologie auf, aber wir benutzen nicht das LoRaWAN. Unsere Datenübertragungen erfolgen verschlüsselt und basieren auf IPv6, also auf dem Internet-Protokoll der neuesten Version. Das Netzwerk funktioniert ähnlich dem Datentransport im Internet: Ein intelligentes Mesh-Netzwerk bildet die Grundlage. Wie im Internet, werden die Transportwege sofort angepasst, sollte ein Verbindungsknoten ausfallen. Die Netztechnik stellt im Prinzip ein kleines Internet für Kellerumgebungen dar. Die Daten wandern gegebenenfalls von Keller zu Keller, bis sie einen passenden Aggregationsknoten finden, an dem sie praktisch an die Oberfläche austreten können und dann oberirdisch weitergefunkt werden. Teilweise stehen Knoten auf Dächern, damit die Daten gar nicht durch das Internet geleitet werden müssen, sondern in einem eigenen abgetrennten Versorgerdatennetzwerk bleiben.

Haben Sie weitere Vorkehrungen getroffen, um das Netzwerk robust genug für den Alltagseinsatz in Kellern zu gestalten?

Durch eine eigenentwickelte Antenne erreichen wir die für Kellerräume nötige hohe Sendeleistung. Zusätzlich verwenden wir die sogenannte LoRa-Spreizung, bei der aus einem Bit bis zu 4096 Bit werden. Durch diese Redundanz können auch massive Störungen des Funkverkehrs überwunden werden, etwa durch Einstrahlungen von großen Maschinen. Zusätzlich sind mehrere Antennen in das Reglermodul eingebaut und schlimmstenfalls ließe sich auch eine externe Antenne anschließen.

Vernetzung birgt auch neue Gefahren. Mit welchen Maßnahmen sichern Sie Ihre Module gegen unberechtigte Eingriffe und gegen Angriffe aus dem Internet ab?

Alles wird protokolliert, von der Öffnung des Gerätes, über Stromausfälle, bis zum Abziehen oder Anstecken von Kabeln. Bei Datenübertragungen setzen wir durchgehend Verschlüsselung ein, von der physikalischen Ebene bis zum Web. Unser Schlüssel hat eine Hardware- und eine Software-Komponente. Hacker müssten also auch an die Hardware herankommen. Weitere Details möchte ich hierzu nicht nennen.

Wie stellt sich die Nutzung Ihrer Technologie für Anwender dar, über welche Kenntnisse müssen sie verfügen?

Die Heizungsanlagen werden lediglich um ein Modul erweitert und schon können Daten empfangen und Geräte ferngesteuert werden. Unsere Komponente ist als Plug-and-Play-Modul ausgelegt, es ist keine Netzwerkkonfiguration nötig, Anwender brauchen keinerlei Spezialkenntnisse. Ergänzend haben wir eine Planungs-Software entwickelt, mit der sich die optimale Platzierung im Keller ermitteln lässt.

Wie profitieren Ihre Kunden von der IoT-Entwicklung, welche Vorteile bietet ihre Lösung für Anwender?

Bisher sind rund 80 Prozent der Fernwärmeanlagen nicht vernetzt. Man kommt dann nicht an die Daten heran, um das System zu optimieren oder Energie einzusparen. Für Wohnungsbaugesellschaften ist das ein wichtiger Faktor, denn sie haben viele Wohnungen, oftmals über eine große Fläche verteilt. Sie müssen auch keine Ableser mehr durch die Häuser schicken, denn der Verbrauch ist direkt aus der Ferne auslesbar. Der Zugriff auf all die verfügbaren Daten erlaubt bisher nicht gekannte Auswertungen, durch die ein Gesamtsystem optimiert werden kann und dadurch mehr Energie eingespart wird. Außerdem lassen sich Defekte und Ausfälle schneller erkennen. Bei vernetzten Anlagen könnten zum Beispiel im Havariefall zuerst Krankenhäuser versorgt werden oder andere Priorisierungen erfolgen.

Wie sind Sie von der Steuerung von Fernheizung auf das Internet der Dinge (IoT) gekommen? Wie kamen Sie auf diese Idee und wie sind sie bei der Entwicklung vorgegangen?

Bei einem Gespräch in der Kaffeepause einer Tagung ergab sich eine interessante Kooperationsmöglichkeit mit dem Berliner Heinrich-Hertz-Institut (HHI). Es ging um Sensornetzwerke. Daraus entstand ein Fraunhofer-Forschungsprojekt, in dem wir gemeinsam mit dem HHI Untersuchungen durchgeführt und Messungen vorgenommen haben.

Dann haben wir Vor- und Nachteile sowie Möglichkeiten verschiedener Funktechnologien evaluiert. Ob GPRS, UMTS oder LTE, man braucht immer ein Modem im Keller. Außerdem besitzen diese Verfahren bei unseren Gegebenheiten schlechte Empfangseigenschaften.

In dem Forschungsprojekt „Deep-Indoor“ haben wir gemeinsam mit dem HHI ein „multi hop mesh network“ entwickelt, also ein Netzwerk, das Daten auch von Keller zu Keller übertragen kann. Schließlich begannen wir 2013 gemeinsam ein passendes Sender-Empfänger-Modul zu entwickeln.

Wo haben Sie die für so ein Projekt nötigen Informationen herbekommen und wie haben Sie sichergestellt, dass eine solche Lösung oder vergleichbare Alternativen nicht schon auf dem Markt vorhanden sind?

Informationen erhielten wir auf Tagungen oder durch Zeitschriften. Den Wettbewerb beobachteten wir über das Internet und auf Messen. Wir haben natürlich vorab eine Technologieabtastung gemacht, um Vor- und Nachteile anderer Technologien zu evaluieren. Der Mobilfunk hätte höhere Kosten, denn dafür sind beispielsweise SIM-Karten notwendig. Hinzu kommen die erwähnten Empfangsprobleme, die Außenantennen notwendig machen. Mit Narrow-Band kommen die Mobilfunker nun langsam auf den Markt, das ist aber teuer und technologisch eher noch am Anfang. Bei LoRaWAN hingegen hätte man ein käufliches Modul erwerben müssen und sich außerdem an die Bedingungen des Herstellers halten müssen, etwa an die vorgegebene Netztechnik. Natürlich haben wir auch ganz andere Übertragungstechniken untersucht, etwa Ultraschall – aber das wäre zu aufwendig.

Wie hoch schätzen Sie den Zeit- und Kostenaufwand für die Entwicklung Ihres Produkts?

Es hat zwei Jahre gedauert, bis wir den besonderen Vernetzungsanforderungen in Kellern zufriedenstellend gerecht werden konnten. Der Entwicklungsaufwand dürfte mit circa 1,5 Millionen Euro zu Buche schlagen.

Welche Auswirkungen dieses Projekts auf die Zukunft Ihres Unternehmens erwarten Sie?

Wir konnten ein kostengünstiges Produkt entwickeln, dass industriellen Anforderungen genügt. Unsere Regler kosten circa zwischen 100 und 800 Euro, je nach Menge und Variante. Wir bauen keine Billigkomponenten. Beispielsweise verwenden wir Hochtemperatur-Kondensatoren. Die laufen garantiert 10 Jahre, denn sie sind auf 80.000 Betriebsstunden ausgelegt. Das ist Industriequalität. Bei billigen Modellen halbiert sich pro 10 Grad Temperaturerhöhung die Lebensdauer.

Dadurch dass wir alles selbst entwickelt haben, können wir jederzeit tiefgreifende Veränderungen und Erweiterungen vornehmen, etwa um die Technologie auf einem völlig anderen Gebiet als bei Heizungsanlagen anzuwenden.

Wir sind auch gut aufgestellt, um unser Operationsgebiet zu erweitern. Bisher sind wir auch in Österreich und Polen tätig, sowie ein bisschen in Frankreich oder Skandinavien. Doch auch im ehemaligen Ostblock wird sehr viel Fernwärme eingesetzt.

Was waren wichtige Erfahrungen auf Ihrem Weg? Was haben Sie und Ihre Mitarbeiter daraus lernen können?

Für uns hat sich eine neue Technologie eröffnet, das war für uns der Einstieg in die Funktechnik. Jetzt sind wir gut gerüstet für die Zukunft, denn die Funktechnik ist eine Zukunftstechnologie, Stichwort 5G (der kommende Mobilfunkstandard). Zukünftig werden Maschinen immer vernetzt sein. Wir haben in diesem Bereich das Know-How und  können unsere Erfahrungen in andere Industriebereiche übertragen, etwa bei der Prozessautomation von Ventilen. Immer, wenn schwierige Funkbedingungen herrschen, können wir eine Lösung anbieten.

Wenn man öffentliche Forschungsförderung nutzt, ist der administrative Aufwand jedoch nicht zu unterschätzen. Aber wir haben auch das gelernt.

Wenn Sie nochmal an Anfang dieser Entwicklung stehen würden, was würden Sie jetzt anders machen?

Im Vorfeld noch genauer spezifizieren, wie die Ziele aussehen.

Was können andere Interessierte von Ihren Erfahrungen lernen?

Man muss sich im Klaren sein, dass ein Prototyp nicht bedeutet, dass ein marktfähiges Produkt vorliegt. Insbesondere der Funksektor ist stark reguliert. Es sind viele Funkregularien einzuhalten, das ist mit erheblichem Aufwand verbunden.

Auch ist ein starker Partner, wie Fraunhofer, sehr hilfreich. Die wissen wie man Anträge für Forschungsfördergelder schreibt und wie man ein solches Projekt strukturiert.

Würden Sie anderen Unternehmen raten, sich mit IoT-Technik zu beschäftigen?

Man muss sich in unserer Branche damit beschäftigen, sonst ist man in ein paar Jahren vom Markt verschwunden. Wir hätten ansonsten wahrscheinlich keine Chance, in fünf Jahren noch zu existieren.

Man braucht heute Systemlösungen, von der Hardware über die Middleware bis zum Webportal. Das ist für kleine Firmen schwierig. Ohne unsere Muttergesellschaft könnten wir beispielsweise keine 24-Stunden-Bereitschaft erbringen. Wir haben auch keine Fachkräfte für den Betrieb der Server, auf denen Plattformen wie das Webportal laufen. Das übernimmt alles die Muttergesellschaft.

Könnte man diese Dienstleistungen nicht auch dazukaufen?

Wer keine Mutter hat, muss sich das dazu kaufen – oder mit leistungsfähigen Partnern kooperieren. Am besten wählt man dazu mittelständische Partner, da hat man in der Kooperation mehr Spielraum und Gestaltungsmöglichkeiten. Bei großen Konzernen unterliegt man eher einem Diktat.

Wie geht es bei Ihnen weiter, was ist geplant?

Wir haben durch unser IoT-Projekt viele Anregungen für neue Projekte erhalten. Es läuft bereits ein Projekt zur Ortung der Geräte, damit wir wissen, wo sie stehen. Wenn ein Gerät gewechselt oder gewartet werden muss, steht dann sofort fest, wo ein Techniker hinzuschicken ist. Ferner planen wir ein Zukunftsprojekt zu intelligenten Druck- und Temperatur-Sensoren, zum Beispiel für größere Temperaturbereiche. Dazu stehen aber noch nicht alle Einzelheiten fest.